Malerei und Wirklichkeit
Wenn die Jahre vergehen und sich soviel Erfahrung ansammelt, wird Malen immer fordernder, immer schwieriger. Je weniger jemand weiss, desto leichter erscheinen ihm die Dinge. Ungestüm und Mut der Jugendjahre verschwinden und machen der Kraft der Gewissheit Platz. In der Malerei sind Inspiration und Kenntnis der Wirklichkeit die wichtigen Dinge. Wirklichkeit ist Wahrheit, ist Natur. In der Natur ist alles schön: die Felsen, die Bäume, das Wasser, die Tiere – alles ist vollkommen, harmonisch und natürlich. Und so sollte auch Malen sein: natürlich und einfach. Manche Leute sagen, wenn sie ein Bild einer Blume sehen, „Schau, als ob sie echt wäre“ oder, wenn sie ein Porträt sehen, „Du könntest glauben, dass er gerade zu dir spricht“. Genauso ist es. Je näher man zum Wesen der Natur durchdringt, desto größeren Eindruck kann man auf die Menschen machen, seit es das Bild gibt, entdecken sie sich selbst. Daraus folgt, dass nur genaue Kenntnis der Natur ein Gefühl der Wahrheit hervorrufen kann. Natürlich kopiert man niemals die Natur. Man versucht sie nachzuahmen, und hier geschieht etwas anderes, noch wahrhaftigeres; die Bemühung des Künstlers, Natur darzustellen, wandelt sich zur Leidenschaft – und der Betrachter versteht dies.
Ich malte vor kurzem einige Rosen auf eine niedrige Mauer aus Betonstein. Ich benutzte sehr dickflüssige Farbe und arbeitete sehr rasch, und ich bemalte die Mauer in einer so zarten und delikaten Farbgebung, dass die Rosen sich vor der Mauer gerade wie in Wirklichkeit zu befinden scheinen.
Meine Absicht ist, Realität und Ideal zu vereinen. Ich möchte so viel über Realität lernen, dass ich dann, wenn ich alles vollständig in mich aufgenommen habe, in der Lage bin, mich völlig frei auszudrücken.
Alekos Fassianos (1935-2022)